Kapitel 3: In einem einsamen Haus
Peter erlebte inzwischen klopfenden Herzens eine bange Stunde. Unter der dicken, heißen Kapuze rann ihm der Schweiß über die Wangen, und die auf dem Rücken zusammengebundenen Arme begannen zu schmerzen.
Die Männer im Wagen schwiegen, nur der neben ihm sitzende gab manchmal knappe Anweisungen. Er schien der Kopf der Entführerbande zu sein. Der Wagen führ in schnellem Tempo dahin. Plötzlich wurde die Straße uneben. Das Auto rumpelte auf dem schlechten Weg noch ein Stück weiter, dann hielt es. Ein Hund bellte.
Der Mann fasste Peter am Arm, zog ihn aus dem Wagen und führte ihn ein paar Schritte weiter.
»Stufen!« brummte er, und Peter stolperte mehrere Stufen hinauf und merkte, dass er in einem Haus war.
»Alles geklappt?« fragte eine Frauenstimme.
»Wie du siehst«, antwortete der Boss. »Bring etwas zu essen ins Auto und ein paar Flaschen Bier!« befahl er.
Ein Hund strich knurrend um Peter herum, der erschrocken zurückwich.
»Er tut dir nichts, wenn du dich ruhig verhältst. Doch versuch ja nicht zu laufen, das kann er nicht leiden und dann packt er sofort zu«, sagte einer der Männer, währende er Peter die Arme losband. Er schob ihn über eine Türschwelle in einen Raum, wo der Boss mit der Frau redete und sich nun dem Junge zuwandte:
»Du bleibst einstweilen hier und befolgst genau, was man dir sagt, verstanden?« Peter nickte.
»Los!« rief der Mann nun. »Wir müssen weiter. Und du versorgst inzwischen den Jungen und lässt ihn keine Sekunde aus den Augen, hörst du?«
»Darauf kannst du dich verlassen«, entgegnete die Frau und lachte.
Peter hörte die Männer aus dem Haus gehen und gleich darauf das Auto wegfahren. Nun stand er da mit verhüllten Augen in einem fremden Raum und wagte keinen Schritt vorwärts. Der Hund schnupperte knurrend an ihm herum.
Peter merkte, dass die Frau die Fenster schloss, die Vorhänge zuzog und das Licht anknipste, obwohl es doch noch heller Tag sein musste.
»So, jetzt kannst du deine Mütze abnehmen«, sagte sie und zog ihm lachend die Kapuze vom Kopf.
»Du wirst es drunter nicht wenig warm gehabt haben, bist ja ganz verschwitzt.«
Peter atmete erleichtert auf und sah sich vorsichtig um. Er befand sich in einer geräumigen Wohnküche. Durch die zugezogenen Vorhänge schimmerte das Tageslicht. Die Frau war jung und sah freundlich aus. Der Hund, ein großer, schwarzer Schäferhund, stand neben ihr, ließ kein Auge von Peter und knurrte leise.
»Kann ich mich irgendwo waschen?« fragte Peter schüchtern.
»Gewiss, hier ist das Badzimmer«, antwortete die Frau und führte ihn zu einer Tür in der Ecke des Raumes. Sie ging ihm voraus, schloss auch hier das Fenster und zog ein Rollo herunter.
»Versuch ja nicht, hier irgendwas anzustellen. Auch wenn du noch so laut schreien und rufen würdest, könnte dich doch niemand hören.« Sie reichte ihm ein Handtuch und schob dann von der Küche aus einen langen Besenstiel durch den Türspalt, der gerade weit genug war, das der Hund seine Schnauze durchstecken konnte.
»Platz, Wolf!« hörte Peter die Frau sagen, worauf die schwarze Schnauze verschwand und der Hund sich vor die Tür legte, während er sich wusch und in Ordnung brache.
»Kann ich jetzt rauskommen?« fragte Peter vorsichtig, als er fertig war.
»Weg, Wolf!« befahl die Frau und öffnete die Tür. »Na, jetzt siehst du ja ganz manierlich aus. Setz dich an den Tisch, ich mache dir ein paar Rühreier, du wirst hungrig sein.«
Der Junge setzte sich folgsam auf die gemütliche Eckbank. Jetzt erst merkte er, dass er wirklich sehr hungrig war. Die Küchenuhr zeigte halb Drei. Jetzt wird Klaus schon bei uns zuhause sein und den Eltern berichten, dass unser Wagen wie immer an der Ecke stand. Sicher ist Mutter sehr in Sorge und alle werden im Wohnzimmer sitzen und beraten, was man tun könne, ging es Peter durch den Kopf. Er beobachtete die Frau, die sich am Küchenherd zu schaffen machte. Sie sah ordentlich aus. Vor ihr hatte er keine Angst. Der Hund war ein sehr schönes, großes Tier, mit ihm hätte er sich gerne angefreundet.
Die Frau stellte einen Teller mit Rührei und Bratkartoffeln vor ihn auf den Tisch. »Lass es dir schmecken und sei nicht ängstlich, es geschieht dir nichts«, sagte sie.
»Danke«, antwortete Peter höflich und begann mit Heißhunger zu essen. Da der Schäferhund dicht neben ihm saß und ihn unverwandt ansah, warf er ihm einen Bissen Rührei zu, den er geschickt mit dem Maul auffing.
Die Frau lachte. »Na, am Ende werdet ihr noch gute Freunde! Er ist ein verdammt scharfer Teufel. Es wundert mich, dass er überhaupt etwas von dir annimmt.« Sie setzte sich zu Peter in die Essecke.
»Ich habe auch einen Hund zuhause«, bemerkte Peter. »Einen gelben Boxer. Cäsar heißt er.«
»Da kannst du bestimmt gut mit Hunden umgehen. Doch glaube ja nicht, das Wolf nicht auf dich aufpasst. Er packt sofort zu, falls du den Versuch machen wolltest, zu fliehen. Ich möchte es dir auch nicht raten – die Männer verstehen keinen Spaß, wenn du etwas Dummes unternimmst. Am besten, du fügst dich in alles ohne Widerstand. Dein Vater wird schon dafür sorgen, dass du bald wieder nach Hause kommst.«
Peter nickte bekümmert. Am liebsten hätte er jetzt geheult, doch er sagte sich, dass man mit zwölf Jahren nicht mehr weint wie ein kleiner Junge und nahm sich zusammen. Der Vater würde alles tun, um ihn zu befreien, das wusste er, und hier war es jedenfalls gemütlicher als unter der dicken Kapuze im Auto und mit dem Boss an der Seite.
Draußen war es ganz still. Man härte keine Autos fahren, keine Kinder lärmen, nichts. Das Haus musste ganz einsam liegen, daher auch das schlechte Straßenstück am Ende der Fahrt. Vielleicht brauchte die Frau deshalb den scharfen Hund. Während er so nachdachte, wurde er schläfrig und versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken.
Die Frau merkte es und sagte: »Wenn du schlafen willst, kannst du dich auf die Bank legen.« Sie schon ihm ein Kissen hin.
»Nein, danke, ich schlafe nie tagsüber«, entgegnete Peter. Doch allmählich fielen ihm doch die Augen zu. Als die Frau merkte, dass er eingeschlafen war, legte sie ihm vorsichtig die Beide auf die Bank und schob ihm das Kissen zurecht. Der Junge merkte es nicht mehr.
Peter hatte sehr fest geschlafen und wusste erst gar nicht, wo er sich befand, als ihn jemand wachrüttelte. Doch als er den Boss neben sich stehen sah, fuhr er erschrocken hoch. Auch die beiden anderen Männer waren da, sie trugen dunkle Brillen wie der Boss. Der Fahrer wandte Peter sofort den Rücken zu und stellte sich im dunklen Flur neben die offene Tür. Peter bekam sein bärtiges Gesicht nie richtig zu sehen. Er redete auch nichts, nur manchmal flüsterte er leise mit dem anderen.
Der Boss ging zum Telefon und wählte eine Nummer, die er von einem Zettel ablas.
»Wer ist dort?« rief er, ohne seinen Namen zu sagen. »Hören Sie, ich habe den Jungen hier. Je eher wir ins Geschäft kommen, umso schneller werden Sie ihn wieder haben.«
Peter horchte auf. Er spricht mit meinem Vater, dachte er. Wenn ich bloß seine Stimme hören könnte!
»Eine Million in gebrauchten Hundert- und Fünfhundert-Scheinen, verstanden? Und halten Sie die Bullen und die Presse raus, sonst könnte das dem Jungen schlecht bekommen. Bis jetzt fehlt ihm nichts.«
Jetzt redet Vater, dachte Peter, denn der Mann hörte aufmerksam zu und brummte ein paar Mal zustimmend.
»Komm her!« wandte er sich an Peter und presste die Hand auf den Hörer. »Pass gut auf, Junge: Dein Vater will deine Stimme hören. Sag ihm, dass dir nichts geschehen ist und dass er dich so schnell wie möglich auslösen soll. Aber sag ja kein Wort mehr, sonst kracht es!«
Er gab Peter den Hörer und griff zu einem zweiten, um mitzuhören.
»Hallo Vater!« rief Peter. »Hörst du mich?«
»Ja. Wie geht es dir?«
»Gut, Vati, mir ist nichts geschehen, aber bitte hol mich bald hier raus!«
»Ja, mein Junge, verlier nicht den Mut. Ich werde alles tun, um dich so schnell wie möglich auszulösen. Und mach keine Dummheiten, hörst du? Sollte man dich freilassen, versuche zum nächsten Telefon zu kommen, um zuhause anzurufen.«
»Ja, Vater. Ich … habe Angst.«
»Schluss jetzt!« rief der Bos ärgerlich und nahm ihm den Hörer aus der Hand.
»Hallo, sind Sie noch da?« rief er. »Also, beschaffen Sie schnellstens das Geld und warten Sie auf weitere Anweisungen!«
Damit beendete er kurzerhand das Gespräch.