Als Peter nicht nach Hause kam (4)


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Kapitel 4: Warten auf einen Anruf

Während Peter in dem einsamen Haus schlief, war sein Elternhaus von Aufregung und Unruhe erfüllt.
»Diese Ungewissheit ist furchtbar«, seufzte die Mutter und ging ruhelos in der Wohnung hin und her.
»Ich vermute, dass der Entführer sich melden wird, sobald er den Jungen irgendwo sicher versteckt hat«, bemerkte der Kommissar. »Das kann natürlich noch eine Weile dauern. Sie müssen Geduld haben.«
»Wir bleiben selbstverständlich auf und warten auf den Anruf, und wenn es die ganze Nacht dauern sollte«, sagte der Vater.
»Ich werde mich inzwischen umsehen, ob meine Leute schon eine Spur von dem gestohlenen Auto gefunden haben. Dass die beiden Fälle zusammengehören, wissen wir ja bereits. Ich werde mich sofort melden, wenn ich etwas Neues erfahren habe.«s
Der Kommissar verabschiedete sich und ging.
Die Familie blieb bedrückt und unruhig zurück und wartete.
»Willst du nicht etwas an die Luft gehen, Inge?« fragte die Mutter.
»Ach Mutti, mir ist jetzt gar nicht danach«, entgegnete das Mädchen, »ich hätte im Garten ja doch keine Ruhe und würde immer lauschen, ob im Haus das Telefon klingelt. Ich will lieber versuchen, meine Hausaufgaben zu machen.«
»Du hast recht, Inge, Arbeit lenkt am besten ab«, bemerkte der Vater. »Wenn es etwas Neues gibt, sagen wir dir Bescheid.«
Inge ging still in ihr Zimmer hinauf. Bekümmert dachte sie an ihren kleinen Bruder. Er konnte es nicht leiden, wenn sie ihn »kleiner Bruder« nannte, aber sie kam sich mit ihren fünfzehn Jahren ihm gegenüber schon so erwachsen vor und ärgerte ihn gern ein wenig. Jetzt tat es ihr leid, dass sie ihn manchmal aufgezogen hatte. Was konnte der arme Junge dafür, dass sein Vater zufällig ein reicher Mann war? Sie machte sich an ihre Hausaufgaben, kam aber nicht recht voran, denn immer musste sie an Peter denken.

Langsam schlichen die Stunden dahin. Gegen Abend meldete Kommissar Ott, dass der gestohlene Wagen in einem als Lagerhaus dienenden Gebäude in der Vorstadt gefunden worden sei. Der Besitzer des Lagerhauses hatte nach Arbeitsschluss noch einmal dort zu tun gehabt und einen fremden Wagen im Hof vorgefunden. De er sich nicht erklären konnte, was das Auto dort sollte, fragte er bei der Polizei, ob ein Wagen mit dieser Nummer irgendwo als gestohlen gemeldet sei, woraufhin der Kommissar ihn sofort sicherstellen ließ.
»Glauben Sie, dass der Junge dort in der Nähe verborgen gehalten wird?« fragte der Vater.
»Ich vermute eher, dass die Entführer dort in einen anderen Wagen umgestiegen sind, um ihre Spuren zu verwischen«, entgegnete der Kommissar. »Sie können Ihr Auto sofort bei uns abholen lassen.«
»Vielen Dank, ich schicke meinen Fahrer hin. Sie kennen ihn ja von der Vernehmung heute Mittag.«
»Wo wurde der Wagen gefunden? Hat man keine Spur von Peter entdeckt?« fragte die Mutter gespannt.
»Den Jungen haben die Entführer selbstverständlich mitgenommen. Ich sage nur schnell Max Bescheid, damit er den Wagen abholt und bin gleich wieder da.«
»Wo sie bloß den Jungen hingebracht haben?« grübelte die Mutter.
»Ja, wenn wir das wüssten, wäre alles halb so schlimm«, bemerkte der Vater.
Bald danach kam Max und meldete, dass der Wagen in Ordnung sei und in der Garage stehe.
»Die Polizei hat keine fremden Fingerabdrücke am Auto feststellen können«, berichtete er. »Die Diebe müssen mit Handschuhen bearbeitet haben. Übrigens, wenn Sie mich brauchen sollten, ich werde die ganze Nacht bereit sein und in den Kleidern auf dem Sofa pennen.«
»Danke, Max, gehen Sie ruhig zu Bett wie immer. Ich glaube nicht, dass sich der Entführer so schnell meldet und ich in der Nacht den Wagen brauchen werde. Nehmen Sie den Hund gleich mit, er streicht dauernd durchs Haus und sucht Peter.«
»Ist recht«, entgegnete Max und rief Cäsar, der im Sommer die Nächte in seiner Hundehütte neben der Garage verbrachte.
Die Mutter schickte auch Inge ins Bett und die Eltern blieben allein im Wohnzimmer zurück. Sie versuchten zu lesen, doch ihre Danken waren bei Peter und ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Telefon.

Endlich meldete sich der Entführer und der Vater schaltete sofort das Tonband neben dem Telefon ein. Die Mutter stand aufs äußerste gespannt dicht dabei. Sie hörte, wie ihr Mann mit Peter sprach und wollte ihm auch noch ein paar Worte sagen, doch da hatte der Anrufer dem Jungen schon den Hörer weggenommen.
Der Vater war blass geworden und strich sich erschöpft über die Stirn.
»Das scheint ein eiskalter Gangster zu sein. Der Junge sagte, es fehle ihm nichts und ich solle ihn bald herausholen.«
»Wenn ich doch wenigstens seine Stimme hätte hören können«, klagte die Mutter. »Warum ließ man den Jungen nicht weiterreden?«
»Damit er nicht zu viel sagen konnte. Seine letzten Worte waren: ›Vater, ich habe Angst!‹ Darauf schaltete sich sofort wieder der Erpresser ein.«
»Angst? Entsetzlich! Wenn sie Peter bloß nichts tun!« Die Mutter hatte Tränen in den Augen und sah ganz verzweifelt aus. »Wovor hat der arme Junge Angst? Was machen sie mit ihm?«
»Dass er Angst hat ist doch verständlich. Inzwischen hat er doch bestimmt mitgekriegt, um was es sich handelt! Er ist kein kleines Kind mehr, ein Junge mit zwölf Jahren muss damit fertig werden können. Böse ist nur, dass ich vor Montag das Geld nicht beschaffen kann, am Wochenende sind alle Banken geschlossen. Welch ein Wahnsinn, eine Million zu verlangen, als ob man diesen Betrag so einfach aus dem Werk herausziehen könnte oder daheim in der Schublade liegen hätte! Wie der Gangster sich das bloß vorstellt!«
Der Vater ging erregt auf und ab.
»Eine Million?« fragte erschrocken die Mutter. »Wirst du das Geld so schnell beschaffen können?«
Der Vater zuckte mit den Schultern. »Danach fragen diese Leute nicht, Sie haben den Trumpf in der Hand, und ich muss alles versuchen, um Peter so schnell wie möglich wiederzubekommen, ehe er durch den Schock zu Schaden kommt.«
Die Mutter saß völlig gebrochen im Sessel neben dem Telefon und weinte still vor sich hin.
»Am besten ist, du legst dich für ein paar Stunden hin und versuchst zu schlafen. Ich werde mir inzwischen überlegen, wie das Lösegeld am schnellsten zu beschaffen ist. Dabei vergeht mir wenigstens die Zeit. Am Morgen kannst du mich dann ablösen.«
Die Mutter nickte und wischte die Tränen fort.
»Ich bringe dir noch heißen Kaffee«, sagte sie, »dann will ich versuchen zu schlafen.«
Als sie gegangen war, meldete der Vater den Anruf dem Kommissar.
»Wir werden den Ablauf des erpresserischen Geschäftes nicht stören, um den Jungen nicht zu gefährden . Doch wenn wir ihn wiederhaben, wird die Fahndung auf Hochtouren laufen und ich will hoffen, dass die Kerle nicht weit kommen mit ihrer Beute!« rief der Kommissar.
»Glauben Sie, dass es mehrere sind?«
»Sicher, das sind fast immer Banden von wenigstens drei Leuten. Schon allein zum Bereitstellen des Umsteigewagens hat der Entführer einen Helfer gebraucht. Für die Verstecke werden auch Mitwisser nötig sein. Bitte melden Sie mir sofort jeden neuen Anruf!«
Das versprach der Vater. Dann holte er sich Schreibzeug aus seinem Arbeitszimmer und begann zu rechnen. Er hatte es sich vor seiner Frau nicht anmerken lassen, wie betroffen er über die Höhe des Lösegeldes war. Schließlich war seine Fabrik nur ein mittlerer Familienbetrieb und keine Weltfirma, und es war bei der augenblicklichen schlechten Wirtschaftslage nicht leicht, den Verlust einer Million zu verkraften. Voll schwerer Sorge macht er sich an die Arbeit.
Um fünf Uhr früh kam ihn die Mutter ablösen. »Geh jetzt schlafen!« sagte sie. »Ich glaube kaum, dass so bald wieder ein Anruf kommt. Verbrecher müssen doch auch einmal schlafen.«
Müde überließ ihr der Vater den Platz neben dem Telefon.

Um 8 Uhr erschien der Kommissar.
»Lassen Sie Ihren Gatten ruhig schlafen«, sagte er. »Er wird in den nächsten Tagen ausgeruhte Nerven brauchen, vermute ich. Ich hätte nur gern ein paar Fragen an Sie gestellt.«
»Hoffentlich kann ich Ihnen sagen, was Sie wissen wollen.«
»Der Entführer muss über die Gewohnheiten der Familie gut Bescheid wissen«, sagte der Kommissar. »Wie hätte er sonst gewusst, wo der Wagen immer auf Peter wartete und wann der Junge am Freitag von der Schule abzuholen war. Haben Sie in letzter Zeit Dienstpersonal gewechselt?«
»Seit vorigem Jahr haben wir einen neuen Fahrer, unseren Max, einen sehr zuverlässigen, ruhigen Mann. Seinen Vorgänger Willy Müller mussten wir entlassen, weil es immer wieder Unstimmigkeiten mit den Benzinrechnungen gab. Doch das liegt schon ungefähr zehn Monate zurück.«
Kommissar Ott hatte aufmerksam zugehört. »Ich würde gerne die näheren Daten von dem Mann einsehen.«
»Vermuten Sie, dass er der Erpresser ist? Mein Mann hätte ihn bestimmt an der Stimme erkannt, er hatten einen unverkennbaren sächsischen Tonfall.«
»Einstweilen vermute ich gar nichts, doch wir müssen alles überprüfen. Oft sind es ganz unbedeutend erscheinende Hinweise, die zur Klärung eines Verbrechens führen.«
»In der Personalabteilung des Werkes sind die betreffenden Personenangaben sicherlich noch einsehbar, aber heute am Samstag ist niemand im Büro.«
»Bis Montag kann es schon zu spät sein«, meinte der Kommissar, »da sind die Kerle schon über alle Berge.«
Die Mutter überlegte. »Ich könnte versuchen, den Leiter der Personalabteilung zu erreichen. In einem so dringenden Fall wird er auch am Wochenende bereit sein, uns zu helfen.«
»Sagen Sie ihm nichts von der Entführung, sondern nur, dass ich wegen des gestohlenen Wagens die Daten dringend benötige.«
Der Leiter der Personalabteilung war zufällig zuhause und gleich bereit, mit Kommissar Ott die noch vorhandenen Daten von Willy Müller im Werk herauszusuchen.
»Sie können den Personalchef gleich in seiner Wohnung abholen.«
»Da haben wir Glück gehabt«, bemerkte der Kommissar, »das kann uns ein gutes Stück weiterhelfen. Vielen Dank!«
Er verabschiedete sich sehr eilig und fuhr davon.