C1


Ich wundere mich gerade. Habe ich die Geschichte noch gar nicht verewigt? Dann wird’s aber mal Zeit.

Am 25. Juni war ich zusammen mit meinem Vater in Gelsenkirchen, genauer auf Schalke. Nein, kein Fußballspiel (an diesem Tag war zwar das Halbfinale des Confed-Cups, in dem Deutschland gegen Brasilien ausschied, aber nicht auf Schalke), sondern die »Stock Car Crash Challenge« von Stefan Raabs TV Total. Als großen Raab-Fan (ja, die gibt’s auch außerhalb der Zielgruppe) lud ich meinem Vater zu der Veranstaltung ein, denn passenderweise hatte er genau an diesem Tag Geburtstag. Das Hinfinden war verdammt einfach, ich hätte nicht einmal das Navigationssystem gebraucht; und das mag was heißen, bei mir. Der Weg zur »Arena auf Schalke«, die jetzt nicht mehr so heißt, war super ausgeschildert. Allerdings standen wir schon auf der Autobahn im Rückstau, aber das musste man ja erwarten. Nach dennoch relativ kurzer Zeit erreichten wir das Parkplatzgelände und fuhren die Straße entlang, bis uns eine Einweiserin Zeichen gab, rechts abzubiegen. Im Augenwinkel konnte ich noch die Parkplatzbezeichnung »C1« erkennen, bevor wir nach einem freien Stellplatz Ausschau hielten und so einen auch schnell fanden.

Nachdem das Auto abgestellt war orientierten wir uns ganz pragmatisch: Großer runder Bau = Stadion = Ziel. Zusammen mit den Massen erreichten wir den richtigen Eingang, konnten nach kurzer Verwirrung ob der Nummerierung und Blockbezeichnung in der Schalke-Arena die richtigen Plätze finden und genossen die Veranstaltung.

Die Veranstaltung begann pünktlich um 20 Uhr 15 und endete gegen Mitternacht. An dieser Stelle könnte ich jetzt schreiben, wie die »Stock Car Crash Challenge« war. Aber das ist nicht interessant. Ich habe auch nicht einfach so geschrieben, wie wir zum Parkplatz und danach zum Stadion gefunden haben.

Denn weder mein Vater, noch ich haben wirklich registriert, wo mein Auto geparkt wurde. Wer meine Familie und mich kennt, der weiß, dass es irgendwann soweit kommen musste. Was jetzt begann, war eine – um das gleich einmal vorwegzunehmen – über zweistündige Suche nach einem metallic-roten Peugeot.

Unsere Verwirrtheit begann schon beim Verlassen des Stadions. Wir standen vor dem Ausgang und wussten nicht, in welche grobe Richtung wir überhaupt gehen sollten. Nachdem wir einmal um die Arena liefen, immer auf der Suche nach etwas, das uns bekannt vorkommt, fiel mir ein, dass ich »C1« gelesen hatte. Kurzerhand schnappte ich mir eine Person mit orangefarbener Warnweste und fragte sie, wo Parkplatz C1 ist. »Ich glaube in die Richtung« sagte und zeigte er. Gut, dachte ich.

Natürlich war die Warnweste ahnungslos. Aber ein anderer Parkplatzeinweiser hatte mehr Ahnung vom Terrain und konnte uns in die richtige Richtung lotsen. Auf dem riesigen C1-Areal angekommen sahen wir erst einmal – Autos. Viele, viele Autos. So richtig bekannt kam mir das Gelände nicht vor, aber wir begannen unseren Kilometermarsch und grasten eine Reihe nach der anderen ab, mein Vater die rechte, ich die linke Seite im Auge.

Mein Auto war nicht dabei. Also noch einmal von vorne. Zwischenzeitlich wären wir ein paar Mal fast überfahren worden und begegneten anderen Leuten, die auch auf der Suche nach ihrem Auto waren. So schlossen wir neue Bekanntschaften. Einige trafen wir auch später wieder. Wir begrüßten uns mit: »Ach, hallo, ihr seid der blaue Audi!« – »Ja, genau. Hallo roter Peugeot!« – »Und schon Erfolg gehabt?« – »Nein. Und ihr?« – »Ebenso.«

Hey, ich habe nichts davon gesagt, dass wir uns sinnvoll unterhalten hätten. Außerdem hatten alle anderen Suchenden eine entscheidende Entschuldigung: absolute Trunkenheit. Wir dagegen waren nüchtern. Wir waren einfach nur orientierungslos.

Nachdem wir jeden Grashalm auf Parkplatz C1 vermessen hatten, begannen wir mit den restlichen Parkplätzen. Wer schon einmal auf Schalke war, kann sich vorstellen, was für ein Gewaltmarsch es von A1 über E2 bis P1 ist. Wir sind diesen Weg dreimal gegangen. (Wer sich ein Bild des Geländes machen will: Google Maps, Anreiseskizze)

Gegen 2 Uhr war ich mit den Nerven fertig, mein Vater – seltsam ruhig, wie ich fand – und ich konnten nicht mehr laufen. Gerade machte ich mir Gedanken, wie wir fortfahren sollten. Ein Taxi rufen und nochmal alle Parkplätze abfahren, gleich zur Polizei gehen? Oder mit dem Zug nach Hause fahren und morgen nochmal bei Tageslicht suchen? Obwohl, dann könnten wir auch noch die drei, vier Stunden warten, bis es hell wird.

Da ruft mein Vater auf einmal: »Rasensteine!« – »Hä?« – »Na, Rasensteine. Mir ist gerade eingefallen, dass ich beim Aussteigen wegen dieser blöden Rasensteine umgeknickt bin.« – »Und?« – »Diese ganzen großen Parkplätze sind alle unbefestigt. Unser Parkplatz hatte aber Rasensteine.«

Gute Information. Zusammen mit meinem Wissen (C1!) gingen wir nochmal an den Ausgangspunkt zurück. Gibt es irgendwo einen Parkplatz mit Rasensteinen?

Um es kurz zu machen, den gibt es. Ein zweireihiger Parkplatz zwischen C1 und C2, klein und versteckt und ohne Beleuchtung. Und da stand mein Auto, allein und verloren. Es war 2 Uhr 30.

Welche Vorteile hatte diese Nacht, fragst du? Viele. Seitdem merke ich mir jeden Straßennamen, wenn ich irgendwo parke, wo ich mich nicht auskenne, gucke mir jede Ecke an und merke mir jede Abbiegung die ich gemacht habe. Mein Auto hat zum ersten Mal eine Streicheleinheit bekommen. Mein Vater und ich haben einen ausgiebigen Abendspaziergang gemacht, den wir zuhause mit einem ausgiebigen Abendmahl und einer Flasche Kölsch ausglichen. Wir haben Gelsenkirchen gesehen und nette junge Leute getroffen (»Ey, tschuldigung, wisst ihr, wo hier noch was abgeht?« – »Sorry. Aber wisst ihr, wo mein Auto steht?«). Aber das Wichtigste an diesem Abend: Mein Vater hatte einen wirklich unvergesslichen Geburtstag und konnte noch viele Wochen etwas erzählen. Mein Vater erzählt gerne.